Sittenwidrigkeit einer Bürgschaft einer Ehefrau bei mangelnder Leistungsfähigkeit – BGH, Az. XI ZR 50/01

Während der Ehe bürgt häufig ein Ehegatte für den Kredit des anderen Ehegatten. Manchmal sind derartige Bürgschaften aber unwirksam, wenn sie z.B. gegen die guten Sitten verstoßen. Das kann der Fall sein, wenn der bürgende Ehegatte krass finanziell überfordert wird und die Übernahme der Bürgschaft allein aus emotionaler Verbundenheit übernimmt. Der Bundesgerichtshof hatte einen solchen Fall zu entscheiden :

Leitsatz zu BGH, Az. XI ZR 50/01:

  1. Bei der Beurteilung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Bürgen oder Mithaftenden sind die zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses auf seinem Grundbesitz ruhenden dinglichen Belastungen grundsätzlich wertmindernd zu berücksichtigen.
  2. Ein Interesse des Kreditgebers, sich durch einen an sich wirtschaftlich sinnlosen Bürgschafts- oder Mithaftungsübernahmevertrag vor Vermögensverschiebungen zwischen Eheleuten zu schützen, vermag die Sittenwidrigkeit grundsätzlich nur bei einer ausdrücklichen Haftungsbeschränkung zu vermeiden. Das gilt auch für eine vor dem 1. Januar 1999 übernommene Bürgschaft (Aufgabe von BGH, WM 1998, 2327, 2329 f.).

 Sachverhalt

Zur Absicherung eines Kredits in Höhe von 200.000 DM für den Ehemann übernahm die Ehefrau im April 1994 eine selbstschuldnerische Bürgschaft bis zum Höchstbetrag von 100.000 DM. Nachfolgend wurde die Ehefrau von der kreditgebenden Sparkasse in Anspruch genommen. Diese wehrte sich dagegen mit der Begründung, dass der Bürgschaftsvertrag sittenwidrig und damit unwirksam sei. Als teilzeitbeschäftigte Lehrerin und Mutter eines siebenjährigen Sohnes habe sie zum Zeitpunkt der Bürgschaftsübernahme 1.470 DM netto verdient. Zwar gehöre ihr zudem ein Mehrfamilienhaus und erziele daraus Mieteinnahmen in Höhe von 1.232,50 DM. Jedoch sei das Haus mit einer Hypothek in Höhe von 300.000 DM belastet und die monatliche Rate für das Hypothekendarlehen habe 2.134 DM betragen. Die Sparkasse hielt dies für unbeachtlich und erhob Klage.

 Landgericht und Oberlandesgericht gaben Klage statt

Sowohl das Landgericht Leipzig als auch das Oberlandesgericht Dresden gaben der Klage statt. Nach Ansicht des Oberlandesgerichts habe der Bürgschaftsvertrag nicht gegen die guten Sitten verstoßen. Eine krasse finanzielle Überforderung bei Abgabe der Bürgschaftserklärung lasse sich nicht feststellen. Zudem habe das Interesse der Klägerin, sich vor Vermögensverschiebungen zwischen Eheleuten schützen zu wollen, die Bürgschaft gerechtfertigt. Gegen diese Entscheidung legte die Beklagte Revision ein.

 Bundesgerichtshof bejaht Sittenwidrigkeit des Bürgschaftsvertrags

Der Bundesgerichtshof entschied zu Gunsten der Beklagten und hob daher die Entscheidung der Vorinstanz auf. Der Bürgschaftsvertrag verstoße gegen die guten Sitten und sei daher gemäß § 138 Abs. 1 BGB unwirksam. Die Sittenwidrigkeit von zwischen Kreditinstituten und privaten Sicherungsgebern geschlossenen Bürgschaftsverträgen hänge regelmäßig entscheidend vom Grad des Missverhältnisses zwischen dem Verpflichtungsumfang und der finanziellen Leistungsfähigkeit des dem Hauptschuldner persönlich nahestehenden Bürgen ab. Zwar reiche selbst der Umstand, dass der Betroffene voraussichtlich nicht einmal die von den Darlehensvertragsparteien festgelegte Zinslast aus dem pfändbaren Teil seines Einkommens oder Vermögens bei Eintritt des Sicherungsfalls dauerhaft tragen könne, regelmäßig nicht aus, um das Unwerturteil der Sittenwidrigkeit zu begründen. In einem solchen Fall krasser finanzieller Überforderung sei aber nach der allgemeinen Lebenserfahrung ohne Hinzutreten weiterer Umstände widerlegbar zu vermuten, dass die ruinöse Bürgschaft allein aus emotionaler Verbundenheit mit dem Hauptschuldner übernommen und der Kreditgeber dies in sittlich anstößiger Weise ausgenutzt habe.

 Ruinöse Bürgschaftsübernahme aus emotionaler Verbundenheit mit Ehemann

Nach Auffassung des Bundesgerichtshofs sei die Beklagte ersichtlich nicht in der Lage gewesen, die vereinbarten Zinsen aus eigenem pfändbaren Einkommen oder Vermögen dauerhaft allein tragen zu können. Es spreche daher eine von der Klägerin zu widerlegende Vermutung dafür, dass die Beklagte die Bürgschaft aus emotionaler Verbundenheit mit ihrem Ehemann übernommen habe.

 Sittenwidrigkeit trotz Interesses der Bank am Schutz vor Vermögensverschiebungen zwischen Ehegatten

An der Sittenwidrigkeit einer den bürgenden Ehegatten finanziell krass überfordernden Bürgschaft ändere nach Ansicht des Bundesgerichtshofs nichts, das Interesse des Kreditgebers, sich vor Vermögensverschiebungen zwischen Eheleuten zu schützen. Allein das Ziel, etwaigen Vermögensverschiebungen vorzubeugen, rechtfertige ein wirtschaftlich sinnloses Mithaftungsbegehren des Kreditgebers grundsätzlich nicht. Zudem sei eine Klage gegen einen krass finanziell überforderten bürgenden Ehegatten abzuweisen, wenn eine Vermögensverschiebung nicht stattgefunden habe. Ohne besondere, vom Kreditgeber darzulegende und notfalls zu beweisende Anhaltspunkte könne grundsätzlich nicht davon ausgegangen werden, dass eine krass überfordernde Bürgschaft inhaltlich von vornherein nur eine erhebliche Vermögensverlagerung zwischen Hauptschuldner und dessen Ehegatte habe verhindern sollen.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 14.05.2002 – XI ZR 50/01 –
Diese Entscheidung betrifft folgende Rechtsgrundlagen: § 138 BGB, § 765 BGB
(MDR 2002, 1018; FamRZ 2002, 1550)

 Weitere Informationen

Die Ehegattenbürgschaft (Hintergrundtext).